Eine Woche Freiheit

Seit ziemlich genau einer Woche bin ich jetzt in “Freiheit”, soll heißen aus Isolationshaft entlassen. Seit einer Woche werde ich nicht mehr täglich angeschrien und meiner elementarsten Bedürfnisse beraubt. So langsam dringt es zu mir durch, dass es für dieses Mal vorbei ist. Dass es vorerst nicht mehr notwendig ist frühmorgens panisch aufzuwachen. Dass ich nicht mehr der kompletten Willkür der Schließer:Innen und der anderen Schergen des Knastes ausgesetzt bin. Dass ich nicht mehr misshandelt werde. Knast zu verarbeiten braucht Zeit, so ist das nun mal, wenn einem Schlimmes angetan wird. Und diese Zeit nehme ich mir, aber nicht, ohne vorher noch ein paar Dinge gesagt zu haben.

Im Kasti hat ein Polizist zu uns gesagt: “Es ist verboten in den Bäumen zu nisten.” Ich hab mich sehr über diese Aussage gefreut. Ich hab mich darüber gefreut, weil sie so entlarvend war. Für die Polizei sind wir keine Menschen mehr. Wir sind irgendwelche wilden Tiere, die in den Bäumen nisten. Leider geht damit im Weltbild der Polizei auch einher, das wir minderwertig sind, bloße Sachen, mit denen nach Belieben verfahren werden kann. Und das wurde dann schließlich auch gemacht. Die erste Person, die sie aus den Bäumen geholt haben, wurde dabei derart gründlich misshandelt, dass sie mit einer Trage aus dem Wald geschafft werden musste und eine Versorgung durch Notarzt:In und Krankenhaus notwendig war. Letztlich kann eins aber trotzdem noch sagen: Glück gehabt. Glück gehabt, denn bei dem Einsatzvorgehen hätte das alles auch mit Tod oder Rollstuhl enden können. Aber wie zynisch ist das denn, wenn eins sich darüber freuen muss nicht umgebracht worden zu sein? Was ist das überhaupt für ein Maßstab? Stattdessen wird darüber diskutiert, ob irgendwelche Aussagen, die während dieses lebensgefährlichen Polizeieinsatzes gefallen sind, beleidigend waren. Ein Richter regt sich dann ernsthaft noch darüber auf, dass nach all dem dem Gericht nicht genügend Respekt entgegengebracht wird. Hallo, geht’s noch? Es wird höchste Zeit mal über Prioritäten nachzudenken.

Sie sagen immer, im Knast sind die Bösen, die vor denen die Gesellschaft geschützt werden muss. Dort werden Sie resozialisiert. Nichts könnte weiter von der Realität entfernt sein. Im Knast sind nicht die Bösen. Im Knast sind Menschen, die aus der Gesellschaft verdrängt und ausgestoßen werden. Menschen, die beim ungehinderten, schrankenlosen und zerstörerischen Genuss des eigenen Wohlstandes stören. Dabei ist es komplett egal, ob das jetzt Obdachlose, Flüchtlinge, arme Menschen oder eben Waldbesetzer:Innen sind. Alle die, die dabei stören sich im eigenen Wohlstand zu suhlen, werden weggesperrt. Letztlich haben sowohl Obdachlose als auch ich, als Waldbesetzendes, die gleiche Botschaft: “Hier läuft einiges gehörig falsch und es ist höchste Zeit, dass wir uns darum kümmern.” Aber das ist eine Botschaft die stört und es ist viel bequemer sich die Ohren zuzuhalten und zu behaupten die Probleme gibt es gar nicht. Störrisches Wegsehen und ein weiter wie bisher wird diese Probleme nicht lösen. Der beharrliche Glaube, entgegen aller Fakten, dass wir einfach so weiter machen könnten, oder sollten, wie bisher ist derart naiv, dass es fast schon süß ist. Leider ist diese Naivität aber auch verdammt tödlich. Wir verschleudern Ressourcen in einem Ausmaß, das fernab jeder Vernunft liegt. Wir zerstören diesen Planeten in einer Geschwindigkeit, die kaum zu glauben ist. Wir vernichten ganze Ökosysteme und beuten sowohl Tiere als auch andere Menschen mit einer Grausamkeit aus, die schier unfassbar ist. All das für einen Wohlstand von dem wir letztlich wissen, dass er nicht glücklich macht. Weil neue Handys, Autos, Flugreisen und Essen im Überfluss eben keine Menschlichkeit ersetzen können. Vor allem nicht bei dem Preis, den wir andere dafür bezahlen lassen. Es wird Zeit das einzusehen und Verantwortung zu übernehmen. Zeit hinzusehen, die Auswirkungen des eigenen Lebensstils zu erkennen und daran zu arbeiten es besser zu machen. Damit aufzuhören immer nur mehr zu wollen und krampfhaft zu versuchen immer weiterzuwachsen. Hinzusehen in die Schlachtfabriken und Mastanlagen, in die Betriebe, in denen unsere billigen Luxusartikel gefertigt werden, in die zerstörten Landstriche, in die Augen Verhungernder und die Massengräber, die wir durch unsere Ignoranz füllen. Und das wird natürlich weh tun. Es ist nie einfach sich einzugestehen, dass mensch einen Fehler gemacht hat und mensch Teil des Problems ist, aber es braucht Einsicht um etwas besser machen zu können.

Im Knast sind nicht die Bösen, im Knast sind die, die nicht reinpassen in eine Gesellschaft aus Konsumwahnsinn und Konkurrenz. Es ist an der Zeit damit aufzuhören Leute wegzusperren. Das löst keine Probleme, das verdrängt sie nur. Statt Obdachlose einzusperren wäre es an der Zeit über Mietausbeutung und ein Grundrecht auf Wohnraum zu reden. Statt Flüchtlinge einzusperren wäre es an der Zeit über Fluchtursachen und ein weltweites Bleiberecht für alle zu reden. Statt arme Menschen einzusperren wäre es an der Zeit über bedürfnisorientierte Güterverteilung und eine Veränderung der Werte, nach denen wir unser Wirtschaften ausrichten, zu reden. Und ja, auch mir ist klar, dass im Knast nicht nur gute Menschen sind. So etwas gibt es nirgends. Nicht einmal in der katholischen Kirche. Vor allem nicht in der katholischen Kirche. Aber: Statt Vergewaltiger:Innen wegzusperren ist es an der Zeit über den alles durchziehenden Sexismus und die Rollenbilder von Männern und Frauen zu reden, die derartige Taten und so viel mehr an Leid erst denkbar machen. Statt Nazis weg zu sperren ist es an der Zeit darüber zu reden, warum Menschen zu diesen Ideologien kommen und an einer Gesellschaft zu arbeiten, in der es keinen Sinn mehr ergibt verschiedene Gruppen gegeneinander auszuspielen. Und schließlich auch: Statt gewalttätige Polizist:Innen einzusperren, was eh nicht vorkommt, ist es an der Zeit an einer Gesellschaft zu arbeiten, in der es keine Polizei mehr braucht.

Das alles wird natürlich verdammt viel Arbeit sein. Wir halten seit 150 Jahren an Knästen als Verdrängungsmechanismus fest. Natürlich wirken Probleme, die wir 150 Jahre lang verdrängt haben, erstmal riesig und fast unlösbar. Wir haben uns schließlich 150 Jahre nicht darum gekümmert. Es ist höchste Zeit Knäste in die Geschichtsbücher zu verbannen und den Problemen unserer Gesellschaft und des hier vorherrschenden Lebensstils ins Auge zu blicken. Unsere Gesellschaft als Ganzes hat von der Abschaffung der Knäste sehr viel zu gewinnen, also lasst uns damit anfangen. Lasst uns die zur Verantwortung ziehen, die diese Knäste betreiben und sie füllen. Sie sind uns Rechenschaft schuldig für das was sie tun. Was in den Knästen passiert wissen nicht nur die Insass:Innen, sondern auch die, die sie betreiben. Manchmal sind sie mutig und sagen es auch, wie beispielsweise der ehemalige Gefängnisdirektor Thomas Galli. Lasst uns jedes Mal, wenn wer in den Knast gesteckt wird fragen: Warum? Was nützt das?
Schreibt den Leuten, die in Knästen sitzen, Briefe. Diese Briefe sind so unglaublich wertvoll. Das kann nicht oft genug gesagt werden. Und glaubt den Leuten, die vom Knast erzählen. Auch wenn die Geschichten für Außenstehende unglaublich erscheinen, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ist das, was sie erzählen, wahr.
Habt keine Angst vor Leuten, die im Knast waren. Das sind keine bösen Menschen. Das sind nur Menschen, die sehr viel Gewalt erfahren haben. Habt Angst vor den Leuten, die Knäste betreiben, sie sind es die diese Gewalt ausüben.
Es ist schön, dass mir viele Leute Briefe geschickt haben und meine Postkontrolle fluteten. Viele kamen nicht durch, aber das macht die Briefe nicht weniger wichtig. Noch mehr freut es mich, dass manche Glitzerpulver für die Postkontrolle in die Briefe gefüllt haben. Davon haben vermutlich sehr viele Gefangene was mitbekommen. Glitzerpulver kann sehr hartnäckig sein.
Es ist schön, dass es eine Fahrraddemo um den Knast gab und ich bin sehr dankbar dafür und sehr gerührt. Es macht mich aber auch sehr traurig, das im Knast sehr viele Menschen sitzen, die all das nicht haben. Menschen, die den Knast genauso wenig verdienen, wie ich es tue. Und ich würde mir wünschen, dass allen Gefangenen die Solidarität zuteilwird, die mir zuteilwurde. Das hält ihr Knastsystem nämlich nicht aus.

Knast soll einschüchtern und es ist sehr durchsichtig, dass die Polizei mir krampfhaft irgendetwas anhängen wollte um ein Exempel statuieren zu können. Nicht um meinte willen, sondern um soziale Bewegungen einzuschüchtern. Um den Weg für einen rot/grünen Stadtrat freizumachen der Wälder roden will. Es wäre gelogen zu behaupten, dass genau das was mir passiert ist nicht jedem:r passieren könnte. Sobald eins mutig ist und sich dem Wahnsinn der hier abläuft entgegen stellt ist Polizei- und Justizgewalt eine sehr reelle Bedrohung. Und natürlich suchen sie sich ihre Opfer ziemlich willkührlich aus. Und natürlich macht da Angst, weil wir schließlich alle wissen, oder zumindest ahnen, dass Knäste ziemlich unmenschliche Orte sind. Daran gibt es überhaupt nix schön zu reden.

Lasst sie damit nicht durchkommen. Seid mutig und tut es trotzdem!
Wenn möglich lasst euch nicht erwischen.
Lasst euch keinen Scheiß erzählen, weder von Polizei und Gerichten, noch von mir.
Ihr wisst selber, was zu tun ist!
Denn wir sind wie die Tiere, die in den Bäumen nisten, und eure Gesetze und Regeln sind uns scheißegal.

Frettchen